Prachteinband zum Evangeliar (Codex Aureus) - BSB Clm 14000#Einband

Aus Prachteinbände
Wechseln zu: Navigation, Suche
Übersicht
Signatur Clm 14000#Einband
Maße 425 mm x 326 mm x 79 mm
Datierung kurz nach 870
Ort Nordfrankreich
Objekttyp Prachteinband
Katalogisierungsebene Gesamtaufnahme (item)
Klassifizierung Kategorie:Goldschmiedekunst
Kategorie Westliche Prachteinbände

Beschreibung: Bayerische Staatsbibliothek, Caroline Smout, 2017


Dieser Prachteinband, der durch seine Fülle von Schmucksteinen und Perlen und den Glanz getriebener Goldreliefs besticht, stellt ein Hauptwerk der karolingischen Goldschmiedekunst dar. Die Steine und Perlen, die durch ihre symmetrische und rhythmische Anordnung die Fläche gliedern, werden von außerordentlichen Fassungen gehalten. Neben den kunstvoll gearbeiteten Fassungen zeichnet sich der Einband durch den Schmuck von feinem Filigranwerk, Zellenverglasung und Goldgranulation aus. Auf spätere Werke der Einbandkunst hat dieser Prachteinband bedeutsamen Einfluss ausgeübt.

Informationen zum Trägerband

Überliefert mit: Handschrift München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14000 : Evangeliar, Nordfrankreich, Hofschule Karls des Kahlen (,Residenzlandschaft‘ Karls des Kahlen mit den Zentren Compiègne, Soissons und Laon), 870 (vgl. das Widmungsgedicht auf fol. 126rb) .


Entstehung

Unbekannter Künstler, Goldschmied, zeitgenössisch, kurz nach 870 (s.u. „Stilistische Einordnung“). Mitteleuropa: Nordfrankreich (,Residenzlandschaft‘ Karls des Kahlen mit den Zentren Compiègne, Soissons und Laon); stilistische Verwandtschaft der Treibarbeiten des Vorderdeckels und der Miniaturen des Trägerbandes. Geprägter Einband des Rückdeckels durch Melchior Baßmann.


Komponenten

Vorderdeckel:

5 Reliefs aus getriebenem Goldblech

1 Rahmen aus Goldblech mit Granulation und Filigran

4 Platten aus Goldblech mit Granulation und Filigran (Kreuzarme der Mittelfeldbegrenzung)

7 Platten aus Goldblech mit Granulation und Filigran (äußerer Rahmen)

ursprünglich 188 Fassungen für Edelsteine und Perlen

59 Smaragde

19 Saphire

1 Calcedon

91 [ursprünglich 108] Perlen

ca. 64 Schmucksteine oder Zellenverglasungen

2 Hakenverschlüsse


Spolien (separate Beschreibungen verlinkt):

1 Monogrammstein (Saphir)


Maße

Gesamt:

425 mm x 326 mm x 79 mm


Vorderdeckel:

425 mm x 326 mm


Mittelfeld:

144–145 mm x 78 mm


Mittelfeldbegrenzung:

311 mm x 211 mm


Reliefs:

139 mm x 44 mm bzw. 87 mm


Kreuzarme:

44–63 mm x 33 mm


Rahmen:

422 mm x 326 mm x 57 mm


Rückdeckel:

435 mm x 332 mm


Rücken:

435 mm x 79 mm


Material und Technik

Vorderdeckel:

Goldtreibarbeit, Goldschmiedearbeit, Granulation, Filigran, Zellenverglasung, Smaragde, Saphire, Perlen, Schmucksteine, Glas, Email. Die Platten aus Goldblech sind auf den mit Leder bezogenen Holzdeckel aufgenagelt. Der Feingehalt des Goldes beträgt bei den getriebenen Blechen 900/1000 (ca. 22 Karat), bei den Rahmenteilen und Einzelfassungen 750/1000 (18 Karat). Die Saphire stammen aus Indien, die Herkunft der Smaragde lässt sich hingegen nicht mit Gewissheit festlegen (womöglich sind sie aus dem Habachtal im Salzburger Land, so Jäckel, Restaurierung des Codex Aureus (1968), 150). Bei den Perlen handelt es sich dem Aussehen nach um Süßwasserperlen. (Zu den Edelsteinen und Perlen sowie zum Gewicht der Steine siehe Jäckel, Restaurierung des Codex Aureus (1968), 149f., zum Gold 150f.).


Rückdeckel:

Rotbraunes Schweinsleder mit Rollen- und Plattenstempeln auf Holzdeckel, Goldpressung.


Rücken:

Braunes Leder


Zu den Ergebnissen der materialwissenschaftlichen und kunsttechnologischen Untersuchungen durch das Institut für Bestandserhaltung und Restaurierung (IBR)


Beschreibung des Äußeren

Vorderdeckel:

Die Komposition des Deckels ist durch zwei Rahmen, die mit Edelsteinen (Cabochons) und Perlen besetzt sind, bestimmt: einen äußeren und einen inneren, der das Mittelfeld umgrenzt und durch Kreuzstreben mit dem äußeren Rahmen verbunden ist. Der äußere Rahmen ist ungefähr dreimal so breit wie der Innenrahmen, so dass sich mit den Kreuzarmen, die zwischen den beiden Rahmen vermitteln und doppelt so breit sind wie der Innenrahmen, für das den gesamten Vorderdeckel strukturierende Rahmengefüge eine Proportion von 1:2:3 ergibt.


Mittelfeld:

Mittelfeldrelief aus getriebenem Goldblech, das nicht nur durch seine formale Position im Zentrum des Deckels hervorgehoben ist, sondern auch materiell durch eine erhöhende Platte aus Lindenholz, auf die es genagelt ist.


Mittelfeldbegrenzung:

Auf dem schmalen Rahmen, der das Relief im Mittelfeld umfängt, sind kelchförmige Fassungen angebracht, die alternierend Smaragde, Perlen und Saphire tragen (Abb. 1). Diese Fassungen befinden sich auch auf den vier kreuzförmig angeordneten Stegen, die zum äußeren Rahmen überleiten. Hier sind jedoch vier Kelche zu einer Gruppe zusammengefasst, auf der die Kastenfassung mit einem großen Smaragd aufliegt (Abb. 2). Flankiert werden diese Einheiten von je zwei Fassungen mit einer Perle. (Zur Einmaligkeit der kelchförmigen Fassungen in der frühmittelalterlichen Goldschmiedekunst vgl. Werckmeister, Deckel des Codex Aureus (1963), 18). Zwischen die kelchförmigen Fassungen sind fächerblattartige Formen aufrecht gestellt, die auf einem tropfenförmigen Untersatz fußen (Abb. 1). Auf der Außenseite ist in den fächerblattartigen Formen rotes Glas gefasst, in den tropfenförmigen Untersätzen grünes Glas; auf der Innenseite sind erstere mit grünem Glas gefüllt, während letztere leer sind (wohl aufgrund des erhöhten Mittelfeldreliefs).

Zwischen dem inneren und äußeren Rahmen befinden sich vier Platten getriebenen Goldblechs mit Reliefs. Während die hochrechteckigen Teile einfache figürliche Darstellungen zeigen, sind auf den dazu quergelagerten narrativen Szenen dargestellt. Durch die kreuzförmig angebrachten Stege sind sie in vier Kompartimente gegliedert, deren Mitte vom Relief des Mittelfeldes überblendet ist (vgl. Steenbock, Der kirchliche Prachteinband (1965), 37–42; Ganz, Buch-Gewänder (2015), 169). Die Reliefs werden teilweise von den Rahmenteilen überdeckt.


Rahmen:

Der Rahmen besteht aus einer Mittelreihe von alternierend angeordneten ovalen Saphiren und Perlen, die flankiert wird von Reihen aus viereckigen Smaragden und Perlen, die ebenfalls alternierend gesetzt sind. Hierbei korrespondieren die Smaragde mit den Perlen der Mittelreihe, wie die Smaragde mit den Perlen der beiden äußeren Reihen. Die Smaragde in der Mitte jeder Rahmenleiste sind abweichend oben und unten von zwei Perlen umgeben. Darin entsprechen sie den Smaragden in den Ecken, die durch ihre Größe Akzente setzen. Die Zwischenräume sind gefüllt mit volutenförmig geschwungenem Perldraht und Granulationen. Die Perlen der Mittellinie werden flankiert von einem Blattmotiv, das dem Kleeblatt gleicht, das heißt aus drei einfachen Einzelblättern zusammengesetzt ist (vgl. Jakobi-Mirwald, Buchmalerei (2015), 88) (Abb. 3 u. 4). Teilweise sind die Blätter mit Schmucksteinen und rotem sowie blauem Glas gefüllt.


Goldschmuck / Filigran / etc.:

Die wesentlichen Elemente des filigranen Goldschmucks sind Perldraht und Granulation.


Perldraht:

Das Mittelfeld, der innere Rahmen, die Platten des äußeren Rahmens und die vier kreuzförmig angeordneten Stege werden seitlich von einem Perldrahtrand (zum Teil mit Äquatorschnitt) begrenzt.

Volutenförmig geschwungener Perldraht an den ovalen Saphir-Fassungen und den großen Smaragd-Fassungen des äußeren Rahmens sowie seitlich davon (Abb. 5, 6, 7) auf den kreuzförmig angeordneten Stegen zwischen bzw. oberhalb der Perlen-Fassungen; auf dem inneren Rahmen zuseiten der kelchförmigen Fassungen (Abb. 8).

Perldrahtrand an Fuß (Perldraht zum Teil mit Äquatorschnitt) und Oberkante der rechteckigen Smaragd-Fassungen und ovalen Saphir-Fassungen auf dem äußeren Rahmen (Abb. 7 u. 9); an Fuß und Knauf (Nodus) der Kelchständer sowie zum einen an der Oberkante der Kelchschalen (Kuppa) (Fassungen für Perlen) und zum anderen an den rechteckigen Platten, die auf den Kelchschalen aufliegen (Fassungen für Edelsteine) auf dem inneren Rahmen und den kreuzförmig angeordneten Stegen (Abb. 10).

Perldrahtreifen an Fuß (Perldraht zum Teil mit Äquatorschnitt), Mittelstück und Oberkante der kelchförmigen Perlen-Fassungen auf dem inneren Rahmen (Abb. 11); spiralförmig gelegt um die turmartigen Perlen-Fassungen auf den kreuzförmigen Stegen und dem äußeren Rahmen (Abb. 12).

Perldraht (zum Teil mit Äquatorschnitt) auf den fächerblattartigen Formen und tropfenförmigen Untersätzen zwischen den kelchförmigen Fassungen auf dem inneren Rahmen.


Granulationen:

Linien-Granulation auf doppeltem Perldraht: Die Granulation verläuft auf je einem Perldraht zweier nebeneinander gestellter Fassungen auf dem inneren Rahmen (Abb. 13).

Streu-Granulation auf dem äußeren Rahmen um die Kleeblätter herum, welche die Perlen flankieren, die zwischen den zwei Smaragden an der Schmalseite platziert sind (Abb. 14).

Pyramidale Trauben-Granulation und Einzel-Granalien zwischen Perldraht-Konturen auf den ovalen Saphir-Fassungen des äußeren Rahmens (Abb. 15).

Einzel-Granulationen auf den fächerblattartigen Formen und den tropfenförmigen Untersätzen zwischen den kelchförmigen Fassungen auf dem inneren Rahmen; seitlich der kelchförmigen Fassungen auf dem inneren Rahmen.

Einzel-Granulationen auf Perldrahtschlaufen des volutenförmig geschwungenen Perldrahts zuseiten der kelchförmigen Fassungen auf dem inneren Rahmen sowie der turmartigen Perlen-Fassungen auf dem äußeren Rahmen (Abb. 16).


Fassungen:

Siehe zu den Fassungen auch den Abschnitt „Perldraht“ unter Goldschmuck/Filigran etc.


Mittelfeldbegrenzung:

Die insgesamt 48 Kelche weisen neben der Perldrahtverzierung an Fuß und Knauf des Kelchständers einen Manschettenring aus ovalen Plättchen auf. Dieser liegt auf dem oberen Perldraht des Knaufs auf und ummantelt stabilisierend die Unterseite der Kelchschale. Während die Zargen für die Perlen unmittelbar an der Oberkante der Kelchschalen ansetzen, sind jene für die eckigen Steine auf einer rechteckigen Platte angebracht, die auf den Kelchschalen aufliegt. Die Zargen sind als umlaufender Fries aus Akanthusblättern modelliert, deren Zwischenräume in Form eines runden Loches (Oculus) den Stein bzw. die Perle zusätzlich durchscheinen lassen.


Rahmen:

Die ovalen Fassungen der Saphire und die rechteckigen der vier großen Smaragde in den Ecken ruhen auf Ziertrommeln, die als Durchbruchsarbeit gestaltet sind. Sie sind als Arkadenreihe aus Akanthusblättern mit wiederum eingestellten Akanthusblättern, die auf einem volutenförmig geschwungenen Perldraht ruhen, gebildet (Abb. 17). Bei den Saphir-Fassungen handelt es sich um Rahmenfassungen, indem die Zargen von einem breiten, mit Perldraht und Granulation verzierten Rahmen umfangen werden (Abb. 18). Die Zargen sind hier ebenfalls als Akanthusfries ausgeformt, jedoch mit Bogenreihen in den Zwischenräumen. Sie weichen stilistisch von den Zargen der Fassungen der kleinen Smaragde und jenen auf der Mittelfeldbegrenzung ab.

Die rechteckigen Fassungen der kleineren Smaragde liegen ebenfalls auf Ziertrommeln als Durchbruchsarbeit. Die Ziertrommeln gleichen in ihrer Form einer aus Rundbögen bestehenden Architektur. Die Zargen entsprechen jenen der Fassungen der Mittelfeldbegrenzung (Abb. 19).

Die Perlenfassungen bestehen aus einer turmartigen glatten Trommel, um die sich spiralförmig ein Perldrahtreifen windet (Abb. 20).

Insgesamt gleichen die Ziertrommeln mit den aufgesetzten Fassungen in Seitenansicht Türmen und Gebäuden, so dass der Eindruck einer Stadtansicht entsteht (Abb. 21).


Anordnung der Steine, Perlen, etc.:

Auf der Mittelfeldbegrenzung Smaragde, Perlen und Saphire in alternierendem Arrangement. Saphire in kreuzförmiger Anordnung auf den verbindenden Stegen zwischen dem inneren und äußeren Rahmen. Auf dem Rahmen eine Mittelreihe aus wechselnd aufeinanderfolgenden Saphiren und Perlen, flankiert von Reihen aus viereckigen Smaragden und Perlen, ebenfalls alternierend. In den Ecken jeweils ein großer Smaragd, umgeben von jeweils zwei Perlen oben und unten.


Rückdeckel:

Rückdeckel

Auf dem Lederbezug Rollen- und Plattenstempel, in der Mitte ein Supralibros in Goldpressung mit drei Figuren, darunter eingeprägt die Jahreszahl 1608. Rollenstempel mit folgenden ornamentalen Formen (Nennung von außen nach innen): 1) Fries aus dreigliedrig stilisiertem Blattornament, in dem zwei Blätter gerollt sind und das mittlere, senkrecht stehende Blatt diese überragt; Enden jeweils fächerartig stilisiert. 2) Kandelaber. 3) Alternierend Wappen und Medaillons: das lothringische Wappen, Christusmonogramm IHS mit Kreuz, das vierfeldrige bayerische Wappen, Agnus Dei mit Kreuzstab nach rechts. 4) Fries von Kleeblättern in nach oben geöffneten Bögen, die an den Schnittstellen einen volutenförmigen Aufsatz haben. 5) Wie 1). 6) Wellenranke aus eingerollten stilisierten Blättern. 7) Wie 2). Als Eckornament zwischen dem sechsten und siebten Rahmen ein Fächerblattstrauß aus stilisierten Blättern. Siehe zu den Rollen auch Rosa, Melchior Baßmann (1999), 24–26.


Schließen:

2 Hakenverschlüsse mit dem Lager an der Vorderkante des Vorderdeckels als Riemenschließen (Adler, Handbuch Buchverschluss (2010), BV.3.1.1.). Metallenes Versatzstück aus vergoldetem Silber mit Strichgravur in Form eines Winkeldekors (17. Jh.). Auf dem Rückdeckel die Riemenbefestigung mit Gegenblech, ebenfalls mit Strichgravur.


Inschriften/herstellungsbezogene Marken und Zeichen

Auf dem Rückdeckel Stempel und Rollen der Regensburger Werkstatt Melchior Baßmanns (Einbanddatenbank [EBDB]), Werkstatt Nr. w004080 ), datiert auf 1608. Im Einzelnen: Zu 1) Bogen/Rundfries/mit dreiteiligem Blatt (Werkzeug: EBDB r002721). Zu 2) Kandelaber (Werkzeug: EBDB r002726). Zu 3) Wappenrolle mit Wappen Lothringen, Christusmonogramm/IHS/Kreuz, Wappen Bayern, Agnus Dei/stehend/Kreuzstab nach rechts (Werkzeug: EBDB r002728). Zu 6) Ranke/Wellenranke/intermittierend (Werkzeug: EBDB r002723). Zum Eckornament) Blattwerk/Fächerblattstrauß, mit geradem Bund/Riegel (Werkzeug: EBDB s031650 ).


Überarbeitungsstadien

Vorderdeckel:

Der Regensburger Abt Ramwold (gest. 1000) ließ laut Bildinschrift auf der nachträglich ausgeführten Miniatur auf fol. 1r den Codex erneuern (Hunc librum Karolus quonda[m] p[er]fecit honorus / quem nunc Hemmramo Ramuold renovaverat almo. „Dieses Buch hat einst der ehrwürdige Karl gemacht. Nun hat Ramwold es dem segensreichen Emmeram wiederhergestellt.“). Aufgrund der Nennung von Abt Ramwold lassen sich Ausführung der Miniatur wie Restaurierung in die Zeit zwischen 975 und 1000 datieren. Siehe auch den Eintrag in Geheimschrift (Punkte anstelle von Vokalen) auf fol. 126r: Domni abbatis Ramvoldi iussione hunc librum Aripo et Adalpertus renovaverunt. Sis memor eorum („Auf Befehl des Abtes Ramwold haben Aribo und Adalbert dieses Buch erneuert. Denk an sie.“). Diese Erneuerung dürfte hinsichtlich des Deckels in der Befestigung gelockerter oder herausgefallener Steine bestanden haben, gemäß einer Notiz auf fol. 126v: In ihr ist der Verlust von zehn Saphiren, 24 Smaragden und 12 großen Perlen auf der einen und vier Saphiren auf der anderen Seite vermerkt (De una parte Iagontii X Prasini XXIIII Marg[arite] maiores XII De alter aparte Iagontii IIII. (Zit. nach Leidinger, Codex Aureus (1925), 88. Leidinger interpretiert Iagontii als korrumpiert aus hyacintii – blaue Steine – prasini als grüne Steine, 89). Bernhard Bischoff vermerkt zu diesen Einträgen in einer Notiz zu Clm 14000: „Einträge von 3 Händen a) über fehlende Steine und Perlen b und c) über aufgewendetes Gold. Alle drei wohl spätes IX. Jh. (m. E. nicht von der Restaurierung unter Ramwold)“ (Bayerische Staatsbibliothek, Nachlass Bernhard Bischoff, ANA 553 B, II, 1, 11, Notizen zu Clm 14000–14084, Blatt zu Clm 14000, ohne Paginierung).

1608 Restaurierung durch den Regensburger Buchbinder Melchior Baßmann (siehe den auf dem vorderen Pergamentspiegel aufgeklebten Papierstreifen mit dem Eintrag: Anno incarnationis Domini 1608 18. Aprilis praesentem Librum compingi et renouari curauit Admodum Reuerendus Dominus Hieronymus Feyri, huius Monasterii electus et confirmatus Coadiutor, sub Reuerendissimo Domino Hieronymo Wei. Abbate et uenerabili Patre et Fratre Georgio Auffleger Custode et Subpriore per Melchiorem Ba.mann librorum compactorem et ciuem Ratisbonensem (zit. nach Leidinger, Codex Aureus (1925), 15) („Im Jahre der Menschwerdung 1608, 18. April, hat der ehrwürdige Herr Hieronymus Feyr, erwählter und bestätigter Koadjutor dieses Klosters unter dem allerehrwürdigsten Herrn Hieronymus Weiß, Abt, und dem verehrten Vater und Bruder Georg Aufleger, Kustos und Subprior, dafür gesorgt, dass dieses Buch durch Melchior Baßmann, Buchbinder und Bürger von Regensburg, gebunden und renoviert wird.“). Mit Ausnahme der Edelmetall- und Edelsteindekoration des Vorderdeckels wurde der ursprüngliche Einband entfernt und – im Zuge der Beschneidung und Neubindung des Buchblocks – neue Holzdeckel mit einem Überzug aus rotbraunem Schweinsleder angefertigt. Die Prägung des Rückdeckels erfolgte ebenfalls in der Baßmann-Werkstatt. Im Zuge dieser Neubindung wurden auch neue Schließen angefertigt (s. Beschreibung des Äußeren).


Rückdeckel:

Im Zuge der Restaurierung von 1608 wurde ein neuer Holzdeckel mit einem Überzug aus rotbraunem Schweinsleder angefertigt. Bei der Restaurierung 1966 Verleimung eines Bruchs im Holzdeckel und Anbringung dreier versenkter Querriegel zu dessen Stabilisierung. Reinigung des mit Gold- und Blindpressung versehenen Ledereinbandes.


Zustandsberichte

Vorderdeckel:

8 Fassungen für Perlen sind verlorengegangen, 9 Fassungen für Perlen sind zudem leer.


Mittelfeld:


Mittelfeldbegrenzung und Rahmen:

Propst Arnold von Stankt Emmeram beschreibt um 1035/37 den Vorderdeckel „Arnoldi Officium S. Emmerami“, München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14870, fol. 44r : Der Kodex, der von Arnulf von Kärnten dem Kloster überlassen worden sei, sei „von solcher Kunstfertigkeit, solchem Wert und Gewicht, dass etwas Ähnliches nicht leicht gefunden werden kann. Auf der Vorderseite erlangt die Anordnung der Steine eine Anzahl von Hundert, von denen sich einige so sehr durch ihre Größe auszeichnen, dass vier von ihnen 16 Kelche bedecken. In der Form des Heiligen Kreuzes sind sie so angeordnet, dass sie die mittlere Zone in Viertel unterteilen. Die innere, engere Rahmenform enthält 32 Kelche, die jeweils mit einem kleineren Stein bedeckt sind. Durch sie entspricht die Schönheit des inneren Rahmens der des äußeren. Dieser letztere ist mit größeren Steinen geschmückt, welche Gebäude, und mit Perlen, welche Wehrtürme darstellen.“ (Übersetzung teilweise zit. nach Ganz, Buch-Gewänder (2015), 177) (Et cuibus unus est cubitalis, opere, precio, pondere siquidem talis, ut ei non facile inveniri possit equalis. Cuius in dextra parte dispositio gemmarum centenarium etiam complet numerum, quarum quedam adeo quantitate preminent, ut quatuor ex his calices operiant sedecim, in figuram sancte crucis, per singulos quaternis ordine medio dispertitis. Intimus autem ordo contractior calices habet triginta duos singulatim gemmis minoribus opertos, quibus venuste respondet extimo amplioribus per castella dispositis necnon margaritis per propugnacula insertis deliciosissime compto; Waitz (Hg.), Arnold von St. Emmeram, Libri II de Sancto Emmeramo (1841), 551). Zudem findet sich in der anonymen „Jüngeren Translatio s. Dionysii Areopagitae“ von St. Emmeram aus dem 11. Jh. eine Beschreibung und Deutung des Vorderdeckels: das Evangelienbuch sei „außen mit meisterhafter Kunstfertigkeit in Gold und blütengleiche Edelsteine gebunden […]. Auf seinem vorderen Deckel erkennt man etwas wie ein viereckiges Gebäude, das das himmlische Jerusalem symbolisiert. Es trägt auf allen Seiten Kelche, und diese bedeuten die Leiden der Märtyrer. […] Aber die Kelche tragen oben auch Fassungen für verschiedene Steine, gewissermaßen die Wohnungen der Auserwählten im Himmel. Denn diese himmlische Stadt muß aus lebendigen und auserwählten Steinen erbaut werden. Und in der Mitte thront ein Bild des Allmächtigen“ ([…] librum ewangeliorum totum auro conscriptum, simul exterius auro gemmisque vernantibus magistra arte redimitum, cuius in superficie quasi quoddam edificium in quadrum positum cernitur, quo celestis Ierusalem figuratur, gestans undique calices, qui significant martirum passiones. Etenim celi cives sepcies auro recocto sunt puriores. Sed et calices superne diversorum lapidum sustentant receptacula, quasi electorum in celo habitacula. Manet enim celestis illa urbs ex vivis et electis lapidibus construenda. Huius et in medio sedet omnipotentis ymago, quia quos lapis ille angularis celesti Iherusalem adglutinat, ipse per se verus iusticie sol Christus illustrat; Lukas, Die jüngere Translatio s. Dionysii Areopagitae (2013), 442–446).


Restaurierung

Im Rahmen der Faksimilierung der Handschrift 1920/1921 Herausnahme der Pergamentlagen aus dem Einband und neue Heftung (Leidinger, Codex Aureus (1925), 13). Womöglich wurde im Zuge der Faksimilierung die Durchschussseide, die bei der Restaurierung durch Baßman eingefügt worden war, über den Pergamentflächen entfernt. Im Falz wurde sie jedoch festgeklebt belassen, so dass der Buchblock im Rücken 10 mm höher war als im Bereich der Pergamentflächen wie Schnitte und die Schließen damit funktionslos waren (vgl. Bansa, Die Restaurierung des Codex Aureus (2002), 30).

Restaurierung 1966 an der Bayerischen Staatsbibliothek München (siehe den Restaurierungsvermerk in Kapitalbuchstaben auf dem Pergamentspiegel des Vorderdeckels: Hic Codex Aureus anno MDCCCCLXVI post Christum natum, dum Gustauus Hofmann munere directoris generalis bauaricarum bibliothecarum publicarum fungitur, instinctu consiliisque Pauli Gichtel, bibliothecarii codicum in bauarica bibliotheca publica asseruatorum, per Carolum Jäckel, restauratorem in instituto bibliothecae bauaricae publicae libris codicibusque reficiendis, iterum renovatus est („In der Amtszeit des Generaldirektors der Bayerischen Staatlichen Bibliotheken, Gustav Hofmann, wurde auf Anregung und bei beratender Mitwirkung durch den Bibliothekar in der Handschriften-Abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek, Paul Gichtel, der vorliegende Codex Aureus durch den Restaurator im Institut für Buch- und Handschriftenrestaurierung der Bayerischen Staatsbibliothek, Karl Jäckel, im Jahre 1966 wiederum restauriert.“)): Reinigung des Deckels, Ersatz einiger verlorengegangener Perlen, Erneuerung des Buchrückens und Neubindung (vgl. Jäckel, Restaurierung des Codex Aureus (1968); Gichtel, Codex Aureus (1971); Bansa, Die Restaurierung des Codex Aureus (2002), 31–34). Die Erneuerung des Rückens besteht in der Ersetzung des zerrissenen rotbraunen Schweinslederbezuges von 1608, „dessen Vergoldung bis auf matte Reste verlorengegangen war“ (Gichtel, Codex Aureus (1971), 38), durch einen neuen, farblich passenden Lederbezug (vgl. Jäckel, Restaurierung des Codex Aureus' (1968), 148). Ein wesentliches Ergebnis der Restaurierung besteht in der Feststellung, dass der Deckel in seinen ursprünglichen Maßen erhalten ist und nicht im Zuge der Restaurierung von 1608 in Anlehnung an die Beschneidung des Buchblocks verkleinert wurde. (Zur Beschneidung des Buchblocks durch Baßmann 1608 siehe Leidinger, Codex Aureus (1925), 16; Boeckler, Erhardbild im Utacodex (1954), 229, Anm. 51; Bansa, Die Restaurierung des Codex Aureus (2002), 27f.). Denn Werckmeister (Deckel des Codex Aureus (1963), 10–14) hatte die These aufgestellt, dass der Beschlag infolge der Verkleinerung des Holzdeckels zusammengeschoben werden musste und dadurch die Reliefs teilweise überschnitten werden. Dazu Jäckel, Restaurierung des Codex Aureus (1968), 151: „Im Verlaufe der Restaurierungsarbeit sind keinerlei Anhaltspunkte oder gar Beweise dafür aufgetaucht, daß der Einband in früherer Zeit größer gewesen ist. […] Die Goldbleche auf dem Einband werden nur soweit als unbedingt notwendig von den Rahmen verdeckt. […] Die einzelnen Teile passen genau zusammen. Wollte man diese weiter auseinanderziehen, so würde das ganze geschlossene Bild des Einbandes zerstört, weil die Einzelteile verschieden groß sind.“


Ikonographie

Vorderdeckel:

Mittelfeld:

Der frontal auf einem Kissen thronende Christus, dessen Füße auf der Weltkugel ruhen, hält in seiner Linken das geöffnete Buch mit den Worten Ego sum via et veritas et v[ita] (Joh 14, 6), während er seine Rechte zum Segensgestus erhoben hat. Er ist von einer achtförmigen Mandorla hinterfangen, durch deren Form eine Zweiteilung in Ober- und Unterkörper bezeichnet ist. Dies symbolisiert in christologischer Interpretation die göttliche wie menschliche Natur Christi, die sich in einem Körper vereinigen (vgl. Meyer, Zur Symbolik frühmittelalterlicher Majestasbilder (1961), 76–84). In den Bogenzwickeln befindet sich jeweils ein Stern. Die Darstellung weist Bezüge zum Maiestastyp der touronischen Buchmalerei auf (Steenbock, Der kirchliche Prachteinband (1965), 90).


Mittelfeldbegrenzung:

Die Reliefs, die in die kreuzförmige Komposition des Vorderdeckels integriert sind, zeigen die Evangelistenbilder mit dem Akt der Textproduktion und dazugehörig Szenen, die Erzählungen aus den Evangelien visualisieren. Links oben: der Evangelist Matthäus sowie Christus und die Ehebrecherin (Joh 8,1–11). Rechts oben: der Evangelist Johannes sowie die Vertreibung der Händler durch Christus aus dem Tempel (Joh 2, 14–16). Links unten: der Evangelist Markus sowie die Befreiung des Aussätzigen von der Unreinheit seiner Haut durch Christus (Mt 8, 1–4). Rechts unten: der Evangelist Lukas sowie die Heilung des Blindgeborenen durch Christus (Joh 9, 1–7). Die Reliefs, die um die Figur Christi gruppiert sind, betonen seine Funktion als Richter und Erlöser. Die Zusammenstellung dieser Szenen gilt als singulär (vgl. Werckmeister, Deckel des Codex Aureus (1963), 55f.), doch kann man von einem Rückgriff auf byzantinische bzw. byzantinisch beeinflusste Szenenfolgen ausgehen (vgl. Steenbock, Der kirchliche Prachteinband (1965), 90f.).

Die Kelchformen, die als Unterbau der Fassungen dienen, verbinden sich zum einen im Kontext des christlichen Kultes assoziativ mit dem Blut Christi im Altarsakrament oder jenem der Märtyrer. Zum anderen stehen sie im Zusammenhang mit den Evangelisten: wiederholt findet sich der Gedanke, dass die Evangelien mit dem Blut Christi geschrieben wurden (vgl. Hennessy, The Social Life of a Manuscript Metaphor (2013)).


Rahmen:

Die Erscheinung der ,Fassungsarchitektur‘ des Rahmens als architektonische Gestalt in Form von Türmen und Gebäuden wurde wiederholt als „Himmlisches Jerusalem“ gedeutet (Calkins, Illuminated Books (1983), 138–142; Dutton/Jeauneau, Codex Aureus (1983), 117–119; Kessler, Image and Object (2008), 301f.; Cohen, Magnificence in Miniature (2010), 82). Zum einen dürfte jedoch das Ornamentale aufgrund der durchkomponierten prächtigen Struktur im Vordergrund stehen und sich der Aspekt des Himmlischen Jerusalems auf eine Anspielung begrenzen (vgl. Ganz, Buch-Gewänder (2015), 175). Zum anderen fehlen in der Anordnung und im Zahlenverhältnis der Steine wesentliche Merkmale, die in der visionären Beschreibung (Apk 21, 12–27) das Himmlische Jerusalem bezeichnen: der quadratische Grundriss und insbesondere die Zwölfzahl der Tore, Türme und Steine (vgl. auch Werckmeister, Deckel des Codex Aureus (1963), 70).


Rückdeckel:

In der Mitte des Supralibros in Goldpressung sind drei in Regensburg besonders verehrte Heilige dargestellt: links Dionysius mit abgeschlagenem Haupt auf einem Buch, das er in der Hand hält, in der Mitte Emmeram mit einer Leiter, rechts Wolfgang mit dem Modell einer Kirche. Hinzu treten als weitere Attribute bei allen drei Figuren eine Mitra und ein Bischofstab. Darunter drei Wappen. Das gleiche Supralibros findet sich auf dem Vorderdeckel von Clm 14570 der Bayerischen Staatsbibliothek.

Die von Goldschmidt (Die Elfenbeinskulpturen, Bd. 1 (1914), 25) und darauf aufbauend Werckmeister (Deckel des Codex Aureus (1963), 14f.) angestellte Vermutung, dass das heute im Vorderdeckel des Perikopenbuchs Heinrichs II. München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4452 befindliche Elfenbeinrelief vom Rückdeckel des Codex Aureus stammt, konnte bislang nicht verifiziert werden.


Stil und Einordnung

Vorderdeckel:

Die Figuren in den Reliefs sind durch hoch aufragende, schlanke Körper charakterisiert, auf deren gebeugten Schultern kleine, nach vorn gestreckte Köpfe aufliegen. An die runden Schulter- und Rückenpartien fügen sich lange, geschwungene Arme an, die eine ausdrucksvolle gestische Sprache zeigen. Diese expressive Ausdrucksästhetik wird durch die eng am Körper anliegenden Gewänder forciert: Sie sind durch zahlreiche dicht geführte Schüssel- und Röhrenfalten straff modelliert und schwingen zum Teil am Saum in spitzen und flatternden Zipfeln aus, wobei das Faltensystem den sich unter den Gewändern abzeichnenden Körperteilen Bewegung verleiht. Diese stilistischen Merkmale gehen auf die Zeichnungen des Utrecht Psalters Utrecht, Universiteitsbibliotheek, MS Bibl. Rhenotraiectinae I Nr. 32 zurück und finden sich in verwandter Form in den Treibarbeiten des Arnulf-Ziboriums (München, Schatzkammer der Residenz, Inv.-Nr. Res. Mti. Schk. 5) und des Vorderdeckels des Lindauer Evangeliars New York, The Morgan Library & Museum, MS M. 1 (vgl. Steenbock, Der kirchliche Prachteinband (1965), 91; Lasko, Ars Sacra (1972), 64; Prachteinbände 870–1685 (2001), Nr. 1 (Hernad)). Die Reliefs des Codex Aureus stehen somit in der Tradition der Reimser Schule und lassen sich zeitlich zwischen dem Arnulf Ziborium (Ende der 860er Jahre) und dem Lindauer Evangeliar (um 880) verorten. Nähere Analysen einzelner stilistischer wie kompositorischer Unterschiede dieser Werke bieten Otto, Zur stilgeschichtlichen Stellung des Arnulf-Ciboriums (1952); Luther, Arnulfciborium (1995); Appel Tallone, Das Arnulfziborium (2003).


Rückdeckel:

Die Stempel, mit denen der Ledereinband des Rückdeckels geprägt wurde, sind der Werkstatt des Regensburger Buchbinders Melchior Baßmann zuzuschreiben (vgl. oben „Beschreibung des Äußeren“ und „Herstellungsbezogene Marken und Zeichen“).


Provenienz

Das Evangeliar ist im Auftrag Karls des Kahlen entstanden (siehe dazu das Widmungsgedicht auf fol. 126rb und das Herrscherbild auf fol. 5v). Aufgrund der stilistischen Verwandtschaft des Buchschmuckes und des Prachteinbandes ist davon auszugehen, dass sie aus demselben Umfeld stammen. In der Forschungsliteratur werden drei Bestimmungsorte des Kodex diskutiert: Saint-Denis, die königliche Kapelle in Compiègne und die Hofbibliothek Karls des Kahlen. Gegen Saint-Denis, dem in der älteren Literatur der Vorzug gegeben wurde (Friend, Carolingian Art in the Abbey of St. Denis (1923), 73f.; Werckmeister, Deckel des Codex Aureus (1963), 74–80), spricht das Fehlen von klösterlichen Messen im Capitulare am Ende der Handschrift (vgl. Garipzanov, Symbolic Language (2008), 92f.). Die in der jüngeren Forschung vorgebrachte Annahme, dass der Codex Aureus als Stiftung für die Marienkirche von Compiègne, die bevorzugte Pfalz Karls des Kahlen, vorgesehen war, kann einerseits insofern als fraglich betrachtet werden, als der Neubau der Marienkirche erst sieben Jahre nach der Herstellung des Kodex geweiht wurde (877), andererseits kann man den Kodex durchaus mit der Stiftungs- und Fundationsphase der Kirche in Zusammenhang bringen (Herren, Codex Aureus (1987); Staubach, Rex christianus (1993), 269–281).

Zum Verbleib des Evangeliars von der Zeit der Herstellung für Karl den Kahlen bis zu Abt Ramwold von St. Emmeram ist keine sichere Quelle tradiert. Der Überlieferung zufolge soll das Kloster St. Emmeram in Regensburg den Codex Aureus durch eine Schenkung König Arnulfs von Kärnten erhalten haben: Arnold von St. Emmeram spricht im 1. Buch seiner Schrift De miraculis beati Emmerami (1036/1037) von der sogenannten „Arnulfinischen Schenkung“ im Jahr 893 (Waitz (Hg.), Arnold von St. Emmeram, Libri II de Sancto Emmeramo (1841), 551; vgl. Morsbach, Arnulfinische Schenkung (1989), 195–198); im um die Mitte des 11. Jahrhunderts entstandenen älteren Translationsbericht heißt es, dass Arnulf an seinem Lebensende seinen gesamten Schatz dem Kloster St. Emmeram vermacht habe (Hofmeister (Hg.), Translationis et Inventionis sancti Dionysii (1934), 827; vgl. Kraus, Translatio S. Dionysii (1972), 14). In der Forschung wird davon ausgegangen, dass sich der Codex Aureus darunter befunden hat. Aussagen darüber, wie der Kodex in den Besitz Arnulfs gelangte, finden sich weder bei Arnold von St. Emmeram noch im älteren Translationsbericht. Der jüngere Translationsbericht, der ebenfalls in die Mitte des 11. Jahrhunderts datiert wird (s. Lukas, Die jüngere Translatio s. Dionysii Areopagitae (2013)), spricht hingegen davon, dass Arnulf den Kodex aus dem Kloster Saint-Denis erhalten habe, im Zusammenhang mit dem angeblichen Raub der Gebeine des Hl. Dionysius. Allerdings kann der Bericht aufgrund seiner Fiktionalität nicht als historischer Beleg der Herkunft gewertet werden. Darüber hinaus wird vermutet, dass sich der Codex Aureus unter den Geschenken befand, die König Odo auf einem Zusammentreffen mit Arnulf 888 diesem übergab (vgl. Leidinger, Codex Aureus (1925), 44f.).

Im Zusammenhang der angenommenen Schenkung durch Arnulf wurde in der Forschungsliteratur wiederholt auf das Erhardbild im Uta-Evangelistar München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 13601, fol. 4r verwiesen (Boeckler, Erhardbild im Utacodex (1954); Kuder, Die Ottonische Zeit (1987), Nr. 17; zuletzt in kritischer Analyse Stein-Kecks, Totus palatii ornatus (2002), 402–415). Es soll die von Arnulf dem Kloster St. Emmeram geschenkten Objekte zeigen, unter denen sich auch ein Kodex befindet. Allerdings lässt dieser in seiner gemalten Form keine zwingenden Rückschlüsse auf den Codex Aureus zu. Dennoch ist hier anzumerken, dass der Codex Aureus seit dem 11. Jahrhundert in St. Emmeram ein bedeutender Memorialgegenstand für Arnulf war, worauf Franz Fuchs in einem persönlichen Schriftwechsel hingewiesen hat. Im Spätmittelalter wurde er bei Arnulfs Anniversar während des Gottesdienstes zusammen mit dem Arnulf-Ziborium auf dem Tischgrab des Kaisers aufgestellt; dabei wurde es von innen und außen gezeigt (vgl. hierzu den Abschnitt „Stil und Einordnung“ in der gesonderten Beschreibung zur Gemme dieses Einbandes).

1811 gelangte der Kodex aus dem Benediktinerkloster St. Emmeram in die Münchner Hofbibliothek.


Literaturhinweise

Bayerische Staatsbibliothek, Nachlass Bernhard Bischoff, ANA 553 B, II, 1, 11, Notizen zu Clm 14000–14084, Blatt zu Clm 14000, ohne Paginierung

Waitz (Hg.), Arnold von St. Emmeram, Libri II de Sancto Emmeramo (1841).

Goldschmidt,Die Elfenbeinskulpturen, Bd. 1 (1914), S. 25.

Friend, Carolingian Art in the Abbey of St. Denis (1923).

Leidinger, Codex Aureus (1925).

Hofmeister (Hg.), Translationis et Inventionis sancti Dionysii (1934).

Ars sacra (1950), Nr. 50.

Otto, Zur stilgeschichtlichen Stellung des Arnulf-Ciboriums (1952).

Boeckler, Erhardbild im Utacodex (1954).

Meyer, Zur Symbolik frühmittelalterlicher Majestasbilder (1961), 76–84.

Werckmeister, Deckel des Codex Aureus (1963).

Steenbock, Der kirchliche Prachteinband (1965), Nr. 20.

Jäckel, Restaurierung des Codex Aureus (1968).

Gichtel, Codex Aureus (1971).

Kraus, Translatio S. Dionysii (1972).

Lasko, Ars Sacra (1972).

Calkins, Illuminated Books (1983), 138–142.

Dutton/Jeauneau, Codex Aureus (1983).

Herren, Codex Aureus (1987).

Kuder, Die Ottonische Zeit (1987), Nr. 17.

Morsbach, Arnulfinische Schenkung (1989).

Staubach, Rex christianus (1993), 269–281.

Luther, Arnulfciborium (1995).

Wunderle, Katalog der lateinischen Handschriften (1995), 4.

Rosa, Melchior Baßmann (1999).

Prachteinbände 870–1685 (2001), Nr. 1 (Hernad).

Bansa, Die Restaurierung des Codex Aureus (2002).

Stein-Kecks, Totus palatii ornatus (2002).

Appel Tallone, Das Arnulfziborium (2003).

Klemm, Die ottonischen und frühromanischen Handschriften (2004), Nr. 1.

Garipzanov, Symbolic Language (2008).

Kessler, Image and Object (2008).

Cohen, Magnificence in Miniature (2010).

Hennessy, The Social Life of a Manuscript Metaphor (2013).

Lukas, Die jüngere Translatio s. Dionysii Areopagitae (2013).

Ganz, Buch-Gewänder (2015), 158–186.