Silbereinband zu: Evangelia et epistolae - BSB ESlg/Liturg. 1457 s#Einband

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Signatur ESlg/Liturg. 1457 s#Einband
Maße 165 mm x 102 mm x 46 mm
Datierung 1670 - 1734
Ort Augsburg
Objekttyp Silbereinband
Katalogisierungsebene Gesamtaufnahme (item)
Klassifizierung Kategorie:Goldschmiedekunst
Kategorie Kategorie:Westliche_Prachteinbände

Beschreibung: Lorenz Seelig. 2018.


Bei dem Einband handelt es sich um ein Gesellenstück des Augsburger Goldschmieds Johann Andreas Thelott, das er in der Werkstatt seines Vaters Israel Thelott fertigte. Künstlerisch stellt er ein Novum in der Tradition der Augsburger Silbereinbände dar.

Informationen zum Trägerband

Der Bucheinband gelangte zunächst ohne Buch oder Handschrift in die BSB. Heute befindet sich lose eingelegt folgender Druck darin: Evangelia et epistolae, pro dominicis et festis diebus cum textu Latino & Germanico juxta Formam Missalis Romani dispositae = Sonn- und Feyr-Tägliche Evangelia und Episteln für das gantze Jahr mit dem lateinischen und teutschen Text nach Brauch und Norm des Römischen Missal von neuem mit sonderlichem Fleiß durch C. Erhardt, SS. Th. D. eingericht auch mit 92. schönen Kupffern für alle Sonn- und Feyr-Tag ausgeziehret. Augsburg. Sumptibus J. Eisenbarth, Bibliopolae 1719. ESlg/Liturg. 1457 s.


Entstehung

Der Einband wurde wohl zwischen ca. 1680 und 1689 von dem Goldschmied Johann Andreas Thelott (1655–1734) in Augsburg als Geselle in der Werkstatt seines Vaters Israel Thelot (1616–1696) angefertigt. Der Auftraggeber ist unbekannt.


Komponenten

Vorderdeckel:

1 getriebene Silberplatte


Rückdeckel:

1 getriebene Silberplatte


Rücken:

1 getriebene Silberplatte

10 Scharnierteile

2 getriebene Kapitalschutzbleche


Maße

Gesamt:

165 mm x 102 mm x 46 mm


Vorderdeckel:

165 mm x 102 mm x 1 mm, Treibarbeit bis zu 10 mm


Rückdeckel:

165 mm x 102 mm x 1 mm, Treibarbeit bis zu 10 mm


Rücken:

165 mm x 45 mm


Material und Technik

Silber, getrieben, ziseliert, punziert.


Beschreibung des Äußeren

Vorderdeckel:

Sitzende weibliche Gestalt mit Kind in großer Kartusche mit Engelsköpfen, Blattgirlanden und belaubten Zweigen.


Rückdeckel:

Sitzende gekrönte weibliche Gestalt mit Palmzweig und Pfeil in Händen, in großer Kartusche mit Engelsköpfen, Blattgirlanden (oben), Blütengirlanden (unten) und belaubten Zweigen.


Rücken:

Stehende bärtige Figur mit Lilienstängel in der rechten Hand, in großer Kartusche mit Engelsköpfen, Blumen- und Blattgirlanden.


Kapitalschutz: Akanthusblätter


Inschriften/herstellungsbezogene Marken und Zeichen

Marken:

Der Einband trägt auf dem Vorder- und Rückdeckel jeweils 1 x das Beschauzeichen der Stadt Augsburg (Zirbelnuss oder Pyr) sowie die Meistermarke von Israel Thelot (Anker im Schild). Bevor Johann Andreas Thelott 1689 die Meisterwürde in Augsburg erlangte, führte er als Geselle zahlreiche Goldschmiedewerke in der Werkstatt seines Vaters Israel aus und verwendete dabei dessen Meistermarke. Daraus ergibt sich eine Datierung des Buchdeckels zwischen ca. 1680 und 1689. Das Beschauzeichen ist ähnlich wie oder identisch mit Seling, Augsburger Gold- und Silberschmiede (2007), Nr. 0790, 0800, 0810 (1679–1683), das Meisterzeichen entspricht Seling, Augsburger Gold- und Silberschmiede (2007), Nr. 1593q.


Vorderdeckel:

Unten links: Meisterzeichen Israel Thelot (Abb. 1)

Unten rechts: Beschauzeichen Augsburg (Abb. 2)

Rückdeckel:

Unten links: Beschauzeichen Augsburg (Abb. 1)

Unten rechts: Meisterzeichen Israel Thelot (Abb. 2)


Zustandsberichte

Insgesamt gut. Stellenweise leicht oxidiert.


Ikonographie

Vorderdeckel:

Sitzende Maria mit Kind in großer Kartusche mit Engelsköpfen, Girlanden und Laub.


Rückdeckel:

Sitzende gekrönte Heilige mit Märtyrerpalme und Pfeil in Händen (wohl hl. Ursula) in großer Kartusche mit Engelsköpfen, Girlanden und Laub.


Buchrücken:

Stehender bärtiger Heiliger (wohl hl. Josef) mit Lilienstängel in der rechten Hand, in großer Kartusche mit Engelsköpfen, Blumen und Blattgirlanden


Stil und Einordnung

Barock

Der mit hoher Virtuosität aus sehr kräftigen, schweren Silberplatten gearbeitete Buchdeckel war offensichtlich von Anfang an nicht für die Befestigung auf einer Holzplatte vorgesehen, da der – bei Silberbuchdeckeln gewöhnlich vorhandene – umgebogene Rand fehlt, der zur Fixierung auf der hölzernen Trägerplatte dient. Auch Schließen sind nicht vorhanden und waren augenscheinlich niemals vorgesehen. Doch war der Buchdeckel wohl dafür bestimmt, ein auszuwechselndes Buch aufzunehmen, das leicht eingelegt werden konnte; darauf lässt auch die Existenz des Kapitalschutzes schließen. Bemerkenswert ist das Format der Deckelplatten, die höher und vor allem breiter sind als die Silbereinbände der Andachtsbücher der Jahrzehnte um 1700.

Künstlerisch stellt der Buchdeckel ein Novum in der Tradition der Augsburger Silbereinbände dar: Die Komposition wird von den sitzenden Dreiviertelfiguren der Muttergottes mit dem Jesusknaben und der hl. Ursula (?) auf Vorder- und Rückdeckel bestimmt; bänderartige Einfassungen, kombiniert mit Festons und Engelsköpfen, umziehen in großzügig-flexiblem Arrangement die von Strahlen umgebenen Heiligengestalten, die als aus dem planen Grund stark plastisch hervortretende Bilder in locker gefügter Rahmung erscheinen. Bei den für Thelot ungewöhnlich großen Einzelfiguren liegt der Akzent entschieden auf der kräftigen Modellierung der Heiligengestalten. In geringerem Maße trifft das auf den Rücken des Silbereinbands mit dem hl. Joseph zu. So nimmt der durch die Dominanz der isolierten Figuren geprägte Silbereinband eine Ausnahmestellung im Œuvre des Goldschmieds Johann Andreas Thelot ein, der für seine Bucheinbände gewöhnlich szenische Reliefs – seine bevorzugte Domäne in der Goldschmiedekunst – wählt (siehe auch den Text zu BSB, Sign. ESlg/Asc. 5537r). Dem Buchdeckel kommt auch darum besondere Bedeutung zu, weil er zu den wenigen durch Meistermarke bzw. Signatur für Israel bzw. Johann Andreas Thelots gesicherten Silbereinbänden zählt.


Provenienz

Der Einband war ursprünglich im Besitz von John Roland Abbey (1894–1969; zu dem englischen Buch- und Einbandsammler siehe Hayward, Silver Bindings (1952), 98–104; Verst. Kat. Stuker, Bern (11.–27. November, 1.–4. Dezember 1982), 65; Galerie Stuker Blätter, Von silbernen Bucheinbänden (September 1982), 10, Nr. 8; Prachteinbände 870–1685 (2001), 36, Nr. 22; Vervoort, Early Seventeenth-Century Silver Binding (2015), 149) und wurde 1986 über den Antiquariatshandel für die Bayerische Staatsbibliothek erworben. Auf der Box des Einbandes findet sich ein aufgeklebtes Signaturschild ("JA 7352").


Literaturhinweise

Außen-Ansichten (2006), Nr. 47 (B. Hernad).

Galerie Stuker Blätter, Von silbernen Bucheinbänden (September 1982), 10, Nr. 8.

Hayward, Silver Bindings (1952), 98–104.

Prachteinbände 870–1685 (2001), 35f., Nr. 22.

Praël-Himmer, Der Augsburger Goldschmied Johann Andreas Thelot (1978).

Remak-Honnef/Hermann: Katalog der lateinischen Handschriften der Staatsbibliothek München (1991), 18.

Seling: Die Kunst der Augsburger Goldschmiede, Bd. 3 (1980).

Seling, Augsburger Gold- und Silberschmiede (2007), Nr. 0790, 0800, 0810, 1593q.

Verst.-Kat. Sotheby’s, London, Silver and Enamel Bindings (10. Mai 1985), Los 15.

Verst. Kat. Stuker, Bern (11.–27. November, 1.–4. Dezember 1982), 65.

Vervoort, Early Seventeenth-Century Silver Binding (2015), 149.


Empfohlene Zitierweise

Lorenz Seelig. Silbereinband zu: Evangelia et epistolae - BSB ESlg/Liturg. 1457 s#Einband. 2018.

URL: https://einbaende.digitale-sammlungen.de/Prachteinbaende/Liturg._1457_s_Einband_Hauptaufnahme, aufgerufen am 19.03.2024