Messingeinband zum Evangeliar - BSB Clm 16003#Einband

Aus Prachteinbände
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Übersicht
Signatur Clm 16003#Einband
Maße 339 mm x 266 mm x 105 mm
Datierung um 1430–1440
Ort Mitteleuropa: Bayern, Passau
Objekttyp Messingeinband
Katalogisierungsebene Gesamtaufnahme (item)
Klassifizierung Kategorie:Goldschmiedekunst
Kategorie Kategorie:Westliche_Prachteinbände

Beschreibung: Caroline Smout. Bayerische Staatsbibliothek, 2017.


Bei diesem spätmittelalterlichen Messingeinband aus dem Augustinerchorherrenstift St. Nikola bei Passau handelt es sich um ein Pendant zum Einband von Clm 16002. Die aus getriebenem vergoldetem Messing modellierte Figur im Mittelfeld weist einen Kopf aus Bergkristall auf, der an die Verwendung antiker Spolien denken lässt.

Informationen zum Trägerband

Überliefert mit: Handschrift München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 16003 : Evangeliar, Deutschland, Passau (wahrscheinlich St. Nikola), um oder kurz nach Mitte des 12. Jahrhunderts


Entstehung

Unbekannter Künstler, Goldschmied, um 1430–1440. Mitteleuropa: Bayern, Passau.


Komponenten

Vorderdeckel:

4 Medaillons mit gravierten Metallplättchen

21 Fassungen für Schmucksteine

5 Fassungen für Perlen

20 Schmucksteine

4 Perlen

2 Hakenverschlüsse


Rückdeckel:

5 moderne Metallbeschläge


Maße

Gesamt:

339 mm x 266 mm x 105 mm


Vorderdeckel:

334 mm x 253 mm x 42 mm bzw. 57 mm (Eckfassungen)

Mittelfeld: 221 mm x 149 mm

Rahmen: 334 mm x 50 mm


Rückdeckel:

339 mm x 266 mm x 9 mm


Rücken:

339 mm x 55 mm


Material und Technik

Vorderdeckel:

Getriebenes vergoldetes Messing, gravierte Metallplättchen, Bergkristall, Schmucksteine, Email.


Rückdeckel:

Leder mit fünf Metallbeschlägen


Rücken:

Leder


Zu den Ergebnissen der materialwissenschaftlichen und kunsttechnologischen Untersuchungen durch das Institut für Bestandserhaltung und Restaurierung (IBR)


Beschreibung des Äußeren

Vorderdeckel:

Mittelfeld:

Auf der abgesenkten Grundfläche Hochrelief einer Figur, deren Kopf aus Bergkristall gebildet ist (Abb. 1). Links und rechts davon in der oberen Hälfte zwei Figuren in Flachrelief (Abb. 2). In den Zwischenräumen gefasste Schmucksteine und geschwungene Blätter mit Perlen als Ornament.


Rahmen:

Auf der Außenkante des stark profilierten, hohen Rahmens sind als Schmuckelemente eingefasste Steine montiert; je fünf an den Längsleisten und drei an der oberen und unteren Querleiste. Als Eckpfeiler sind in die Rahmenleisten vier hohe Fassungen mit Medaillons eingefügt, die gravierte Metallplättchen unter Glas tragen.


Goldschmuck/Filigran/etc.:

Krone auf dem Kopf der Figur in Gestalt von vegetabilem Rankenwerk geformt (Abb. 1). Blätter in den Zwischenräumen der Figuren.


Fassungen:

Die Zargenfassungen der eckigen, ovalen wie runden Steine sind unmittelbar auf dem Grund aufgenietet. Sie haben eine bauchige Form und sind an den Oberkanten abgeschrägt. Jeweils vier einfache klammerartige Halter, die aus der Zarge herausgearbeitet sind (Abb. 3).

Die Zargenfassungen der Medaillons sind ebenfalls unmittelbar auf dem Grund aufgenietet. Die Oberkante ist zahnbandartig gezackt, darunter verläuft ein Kerbdraht (Abb. 4).


Anordnung der Steine, Perlen, etc.:

Im Mittelfeld sind über der Figur zwei Steine und seitlich von ihr jeweils ein Stein angebracht. Zudem befinden sich seitlich von ihr Paare von Metallblättern, die gleichsam als Blüte zwischen sich eine Perle beherbergen (Abb. 5).

An den Längsseiten des Rahmens zentriert große ovale weiße Steine, flankiert von verschiedenfarbigen kleineren Steinen; an der Ober- und Unterseite rote, grüne und blaue Steine.


Rückdeckel:

4 dreieckige Eckbeschläge mit Rahmenleiste und (Lorbeer-)Zweigfries, im Mittelfeld einzelner (Lorbeer-)Zweig (Abb. 6). Rautenförmiger Mittelbeschlag ebenfalls mit Rahmenleiste und (Lorbeer-)Zweigfries, im Mittelfeld Inschrift (Abb. 7).


Schließe:

2 Hakenverschlüsse mit dem Lager auf dem Buchdeckelrand als Riemenschließe (Adler, Handbuch Buchverschluss (2010), BV.3.1.1.).



Inschriften/herstellungsbezogene Marken und Zeichen

Auf dem Lager der Schließe Schriftzug „ma“ (Maria) auf gerastertem Grund (Abb. 8) (vgl. Adler, Handbuch Buchverschluss (2010), 102).



Überarbeitungsstadien

Rückdeckel:

Vermutlich komplett erneuert 1789. Mittelbeschlag mit Inschrift und vier Eckbeschläge zur gleichen Zeit ergänzt.


Zustandsberichte

Vorderdeckel:

Insbesondere am Gewand Mariens, am Christuskind und den Engeln ist die aufgetragene Goldschicht abgenutzt.

An den Borten des Mariengewandes, am Kronreif sowie am Nimbus des Christusknaben befinden sich Löcher, die der Befestigung von Fassungen für Perlen oder Schmucksteine gedient haben dürften.

Das Evangelistensymbol des Johannes, der Adler, weist noch Spuren von grünem, gelbem und blauem Email auf.


Rückdeckel:

Laut Inschrift auf dem Mittelbeschlag wurden die vom Wurmfraß befallenen Holzdeckel 1798 restauriert und der Messingdeckel auf den Ledereinband montiert (A Corrosione Vermium Vindicatum et Integritati Restitutum Anno 1798).


Ikonographie

Vorderdeckel:

Das vertiefte Mittelfeld füllt die thronende Madonna mit Christuskind in frontaler Ansicht (Abb. 9). Die gekrönte Muttergottes hält das nimbierte nackte Christuskind, das in ihrem Schoß steht und seine rechte zum Segengestus erhoben hat, mit beiden Händen. Über dem Thronsitz schweben zwei Engel zu beiden Seiten Mariens. Die vier Eckmedaillons auf dem Profilrahmen zeigen die Evangelistensymbole: den Adler für Johannes links oben (Abb. 10), den Stier für Lukas rechts oben (Abb. 11), den Menschen für Matthäus rechts unten (Abb. 12) und den Löwen für Markus links unten (Abb. 13).



Stil und Einordnung

Vorderdeckel:

Stilistisch lässt sich die Figur aufgrund der ruhigen und weichen Gewandbehandlung sowie einer Stille in der Körpersprache spätgotischen Skulpturen aus Passau aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhundert zuordnen (vgl. zur Lokalisierung nach Passau Außen-Ansichten (2006), Nr. 8 (B. Hernad)). So gleicht die Weichheit der Formgebung der Schüsselfalten, der herzförmigen Saumfalte und der sanften Knicke des Saums am Boden beispielsweise jener Mariens im Vesperbild in der Klosterkirche Niedernburg in Passau, die um 1420 entstanden ist (vgl. Kobler, Aspekte spätgotischer Skulptur (1993), 68; ferner Brunner, Plastik (1999), 502f.). Die Gestaltung des Kopfes der thronenden Madonna aus Bergkristall lässt an die Verwendung antiker Spolien denken; exemplarisch sei auf das sogenannte Herimannkreuz (Köln, Kolumba-Kunstmuseum des Erzbistums Köln, Inv. Nr. H II) aus dem frühen 11. Jahrhundert verwiesen: ein antiker Kopf aus Lapislazuli (wohl 4/5 n. Chr.) bildet das Haupt des Gekreuzigten. Susanne Wittekind zufolge lassen die Bergkristallköpfe auf den beiden Pendant-Einbänden „mithin durch einen spezifischen Materialeinsatz an die Lebenszeit Altmanns zurückdenken“ (Wittekind, Neue Einbände für alte Handschriften (2017), 187). Dass das Andenken an den Klostergründer Altmann zu dieser Zeit gepflegt wurde, unterstreicht eine um 1450 in St. Nikola entstandene, mit 10 Federzeichnungen versehene Handschrift seiner Vita (München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 16112, fol. 1–14). Wie im Fall von Clm 2938 und Clm 2939 dienen die Pendant-Einbände der Erinnerung an die Gründungszeit des Klosters.


Rückdeckel:

Beschläge von 1789


Provenienz

Insofern die Entstehung des Trägerbandes im Augustinerchorherrenstift St. Nikola bei Passau wahrscheinlich ist (Klemm, Die romanischen Handschriften, Bd. I, 1 (1980), Nr. 205) und sich die Handschrift auch im 18. Jahrhundert dort befand (Kupferstich-Exlibris von Propst Franz Conrad (1795–1803) im vorderen Spiegel), kann von einer Entstehung des Einbandes im Passauer Umfeld ausgegangen werden. 1803 gelangte die Handschrift aus St. Nikola in die Münchner Hofbibliothek.


Literaturhinweise

Außen-Ansichten (2006), Nr. 8 (B. Hernad).

Brunner, Plastik (1999), 502f.

Fritz, Goldschmiedekunst der Gotik (1982), Nr. 585.

Klemm, Die romanischen Handschriften, Bd. I, 1 (1980), Nr. 205.

Kobler, Aspekte spätgotischer Skulptur (1993), 68.

Prachteinbände 870–1685 (2001), Nr. 14 (B. Hernad).

Wittekind, Neue Einbände für alte Handschriften (2017), 176–200.


Empfohlene Zitierweise

Caroline Smout. Messingeinband zum Evangeliar - BSB Clm 16003#Einband. Bayerische Staatsbibliothek, 2017.

URL: https://einbaende.digitale-sammlungen.de/Prachteinbaende/Clm_16003_Einband_Hauptaufnahme, aufgerufen am 29.03.2024